Wohlstand neu denken für Startups

Verheerende Nebenwirkungen

„Geld ist nicht alles” besagt eine alte Binsenweisheit. Zugleich ist monetärer Gewinn eine wichtige Messlatte für wirtschaftlichen Erfolg – für StartUps nicht zuletzt deshalb, weil ihr Überleben oft davon abhängt. Doch die vielfältigen Krisen unserer Zeit zeigen auch, dass ein allein auf Geldvermehrung ausgerichtetes Wirtschaftssystem verheerende Nebenwirkungen hat. Es bringt nicht nur die Ökosysteme an den Rand des Kollaps, die steigende Ungleichheit gefährdet erwiesenermaßen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch auf individueller Ebene mehren sich die Anzeichen, dass wir einen hohen Preis für unser einseitiges Gewinnstreben zahlen: hohe Burnout Raten sind ein Ergebnis von Dauerstress, weitere sind zunehmende Depressionen, Ängste und Vereinsamung.

Geld, Konsum und Sucht

Was den meisten nicht klar ist: hinter dem berühmten Hamsterrad steckt eine Suchtdynamik. Sowohl wirtschaftlicher Erfolg als auch Konsum aktivieren in unserem Gehirn das Belohnungssystem. Das ist der kurze Kick, den wir dann spüren – genau wie beim Mensch-Ärgere- Dich-Nicht, wenn wir eine sechs würfeln und dann gleich noch einmal würfeln dürfen. Dieser Kick hat sich evolutionär betrachtet entwickelt, um uns zu motivieren, uns für etwas anzustrengen, das für unser Überleben wichtig ist – an sich also keine schlechte Sache. Problematisch wird das Ganze erst dadurch, dass wir immer besser darin werden, uns nur den Kick zu holen, ohne unsere echten Bedürfnisse zu stillen. Es ist wie Zucker ohne Apfel oder Porno ohne Sex – geil aber nicht nahrhaft. Das Ergebnis? Wir brauchen immer mehr und mehr davon, um den inneren Mangel zu überdecken. Und schon bald überdeckt die Suchtdynamik die innere Leere nicht nur, sie verstärkt sie auch. Wir sind gefangen in einem Teufelskreis aus mehr-mehr-mehr, ohne zu wissen, wofür wir das eigentlich brauchen, geschweige denn, was unsere echten Bedürfnisse stillen könnte.

Auf echten Mehrwert ausrichten

Aufgabe von Wirtschaft war es schon immer, Bedürfnisse zu erfüllen. Aber was sind unsere wirklichen Bedürfnisse eigentlich? In meinem neuen Buch „Echter Wohlstand” schlage ich fünf Dimensionen eines erweiterten Wohlstandsbegriffs vor: Zeitwohlstand, Beziehungswohlstand, Kreativitätswohlstand, ökologischer und spiritueller Wohlstand. Ich möchte damit eine Diskussion anstoßen, die meines Erachtens überfällig ist: Könnte es nicht sein, dass der dringend notwendige ökosoziale Wandel unserer Gesellschaft nicht im Widerspruch zu einem wirklich guten Leben steht, sondern im Gegenteil dieses erst ermöglicht?
Für Unternehmer*innen bedeutet eine solche Neuausrichtung auf echten Wohlstand, dass sie ihr Denken erweitern müssen. Erfolg ist dann mehr als finanzieller Profit, es ist echter Mehrwert für Mensch, Gesellschaft und Umwelt. Wirkliche Bedürfnisse lassen sich nicht allein durch immer neue Produkte und Dienstleistungen erfüllen, egal wie ausgefeilt diese sind. Stattdessen sollten die Unternehmen der Zukunft so gestaltet sein, dass die Arbeit selbst sinnstiftend, beziehungsstärkend, kreativ und verbindend ist. Es geht dann nicht mehr darum, Arbeitsplätze abzubauen, um Kosten zu senken, sondern im Gegenteil möglichst viele Menschen in Arbeitsprozesse mit einzubinden und zwar auf eine Art, die freudvoll und erfüllend ist.

Startups als Treiber sozialer Innovation?

Neugründungen haben die Chance, vieles anders zu machen. Natürlich müssen die wirtschaftlichen Kennzahlen stimmen. Doch echter Wohlstand hat nichts mit Geld zu tun. Wenn Gründer*innen sich dessen bewusst sind, entstehen Unternehmen, die gesellschaftliche Entwicklungen vorwegnehmen, statt sie zu behindern. Sie stellen sich Fragen, die in klassischen Messsystemen für Erfolg keinen Platz haben: Wie sinnstiftend und erfüllend ist die Arbeit? Ermöglicht sie es Menschen, gesunde Beziehungen zu pflegen – im Job und in der Freizeit? Bleibt neben aller Begeisterung für die Arbeit auch Zeit für andere, wichtige Dinge im Leben? Leisten die Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens einen positiven Beitrag für die Gesellschaft? Wenn wir diese zentralen Fragen aufrichtig mit „Ja” beantworten können, dann sind wir auf einem guten Weg ein Unternehmen aufzubauen, das nicht nur wirtschaftlich erfolgreich ist, sondern auch ein wirklich gutes Leben ermöglicht – für uns als Gründer*innen genau wie für unsere Stakeholder.

Veröffentlicht im Startup Valley Magazin  (28. Juni 2021)

Vivian Dittmar ist eine anerkannte Expertin für das Thema emotionale Intelligenz, Autorin und Gründerin der Be the Change- Stiftung für kulturellen Wandel. Durch ihre Bücher, Vorträge, Seminare und Online-Angebote engagiert sie sich seit zwei Jahrzehnten für eine holistische Entwicklung von Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft und Bewusstsein. www.viviandittmar.net

Zum Weiterlesen:
Vivian Dittmar, Echter Wohlstand, Kailash Verlag, 20 Euro

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